(R)EVOLUTION im B2B Vertrieb – der klassische Aussendienst stirbt aus
Seit Jahrzehnten ist der Außendienst ein heiß diskutiertes Thema, und seit ich denken kann „kränkelt“ der Außendienst. „Zu wenig Neugeschäft“, „kein...
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In einer von "Digitalisierung" und "KI" geprägten Welt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, den Kundenservice zu optimieren. Von Chatbots bis zum persönlichen Kontakt - welche Rolle spielen diese Kanäle wirklich? Dieser Beitrag wirft einen Blick auf die Zukunft des Kundenservice.
Ja, wir leben in einer Welt, in der wir nur noch umgeben sind von „Digitalisierung“, „digitaler Transformation“, „Chatbots“, „KI“, „Omnichannel“ usw. Und alle Unternehmen, die einen Kundenservice betreiben, sind permanent bestrebt, neue Technologien zu validieren und deren Einsatzmöglichkeiten und daraus resultierende Optimierungen zu prüfen. Seit Jahren wird über Self-Service Communities gesprochen, einige wenige haben es erfolgreich implementiert. Seit Jahren gibt es Livechats, und auch wenn die Nutzung stark steigt, so ist die Verbreitung und Akzeptanz weit hinter den Erwartungen. Die aktuelle Errungenschaft sind also Chatbots, die nun den Customer Service verändern werden, oder besser sollen.
Aber welcher Kanal ist der effektivste? Wir haben uns dazu einige Kundenprojekte, die wir betreuen, mal näher angesehen. Ein Großteil der Kunden nutzt die Website eines Anbieters als erste Anlaufstelle, kein Zweifel daran, das ist so und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird es so bleiben.
Ein Livechat ist dafür geeignet, einfache Informationen auszutauschen oder einen Besucher auf der Seite zu navigieren. Beachtenswert ist sicherlich, dass bis zu 15% der geführten Livechats in eine persönliche Interaktion übergehen, die einen „vertrieblichen“ Hintergrund hat - sprich es wird telefoniert. Self-Service Communities sind für die Abwicklung von einfachen Transaktionen sicherlich ein probates Mittel, aber nicht alle Kundenanfragen können über diesen Weg abgewickelt werden. Solltest Du höherpreisige Produkte anbieten oder Produkte, die einen gewissen Beratungsbedarf aufweisen, werden die Kunden am Ende doch wieder mit einem kompetenten Berater sprechen wollen.
Chatbots können zukünftig eine interessante Alternative für einfache Anfragen im Customer Service und bei FAQs sein, aber Stand heute eben nur bei einfachen Anfragen. Sobald die Komplexität zunimmt, ist auf absehbare Zeit wahrscheinlich kein erschwinglicher Chatbot in der Lage, dies zu übernehmen. Und Chatbots haben einen gravierenden Nachteil – sie sind nicht in der Lage, Emotionen zu erkennen. Ich kann flüstern, weinen oder wütend schreien – für den Bot ist es immer die gleiche Aussage. Auch die Antwortgenauigkeit ist in komplexeren Zusammenhängen eine große Herausforderung. Und manche Chatbots werden dümmer statt intelligenter, ggf. hast Du von „Tay“, einem Chatbot von Microsoft, gehört. Dieser wurde von falschen Referenzpersonen unterrichtet und mit falschen Werten bombardiert. Und da "Tay" eine lernfähige Maschine war, wurde er dümmer statt intelligenter. Wird statt einem intelligenzgesteuerten Bot wie „Tay“ ein Scripted Bot eingesetzt, ist wiederum mehr „Handarbeit“ notwendig. Also kommt hinzu, dass ohne eine ständige Überwachung, Pflege und Weiterentwicklung kein Chatbot ein Selbstläufer ist. Und was passiert, wenn ich mit dem Chatbot nicht weiterkomme? Richtig, ich möchte jemanden sprechen. Oliver Voss hat in seinem Artikel „Chatbots sind schwer von Begriff“ sehr schön dargestellt, welche Erfahrungen Menschen mit Chatbots machen (können).
Und nun stellen wir uns den Einsatz von Chatbots u.ä. einmal im oftmals noch sensibleren B2B-Kundenservice vor, nein ich mag nicht wirklich daran denken. Vor einigen Wochen hatten wir einen Workshop zum Thema Marketing- und Vertriebsautomation mit einem Kunden, der aus dem Bereich der Mess-/Steuer- und Regeltechnik stammt. Der Teilnehmerkreis war sowohl fachlich als auch von der Generationen-Struktur sehr gemischt – von Millennials bis zu Babyboomern waren alle vertreten. Es war faszinierend zu sehen, wie unterschiedlich sich die einzelnen Generationen auf einer Customer Journey bewegen. Die größte Überraschung kam für mich jedoch zum Schluss, als sich auf einmal alle einig waren und statuierten, dass ohne einen persönlichen Kontakt, optimalerweise in telefonischer Form, jedoch keine Bestellung erfolgen würde. Da war sie wieder, die Stimme, die Macht eines von Menschen gesprochenen Wortes.
Als Kunde kommt jeder von uns früher oder später an einen Punkt, an dem er es einfach präferiert, mit einem Menschen zu sprechen. Und da die Zeiten des klassischen Außendienstbesuches vorbei sind, bleibt nun mal das Telefon als das Mittel der Wahl. Unternehmen können heute besser und spürbarer denn je ihre Kunden informieren, Empathie demonstrieren und mit Kunden eine emotionale Beziehung aufbauen, wenn sie mit ihren Kunden sprechen. Die Stimme, der „älteste“ Kanal der Kommunikation, wird heute zum wichtigsten und effektivsten Kommunikationskanal, wenn es um Customer Experience in wirklich entscheidenden Momenten geht – beim Kaufabschluss oder bei einer Beschwerde bzw. Reklamation.
Das gesprochene Wort spricht andere Bereiche des Gehirns an als Texte. Empathie oder ein Lachen hat mehr Macht und Kraft als die beste Website – und Kunden spüren es sehr genau, ob Du lachst oder Empathie zeigst. Wenn Du Dir die Websites unterschiedlicher Anbieter aus gleichen Segmenten ansiehst, wirst Du feststellen, dass einige Unternehmen wahrscheinlich sehr bewusst keinen Self-Service offerieren, vielmehr ermutigen sie ihre Website-Besucher dazu, anzurufen. Der Grund hierfür ist sehr einfach – durch eine professionelle, kompetente und persönliche Interaktion wird eine Beziehung aufgebaut, was wiederum Voraussetzung dafür ist, dass Deine Marke emotional wahrgenommen wird, dass Du Deinen Kunden wirklich eine „Customer Experience“ bescherst und dass am Ende des Tages auch die Auftragswerte gesteigert werden können. Durch die digitale Welt wird die Reichweite von Unternehmen zwar zunehmend höher, gleichzeitig verlieren Unternehmen aber den Draht zu ihren Kunden, wenn sie auf 100% digital setzen.
Letzte Woche hatten wir ein Meeting mit einem neuen Kunden, der uns sehr klar zu verstehen gegeben hat, dass er seine Organisation konkret dahingehend ausrichtet, dass am besten niemand mehr anruft. Wenn jemand etwas möchte, soll er eine Mail schreiben. Da wir für diesen Kunden zukünftig die komplette Vermarktung übernehmen werden, war einer unserer ersten Schritte, ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung eines persönlichen Kundenservice an gewissen Touchpoints zu schaffen. Es ist gelungen, diese Woche werden die Servicerufnummern reserviert.
Und wie sieht es nun mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus? Wird KI dies alles ändern?
Ich persönlich finde KI mehr als faszinierend. Alleine als ich Salesforce´s Einstein erstmals erleben durfte, war ich begeistert, und mit viel Interesse und Evaluierungsgedanken blicke ich über den großen Teich, was sich in Sachen KI alles tut. Gerade für moderne Vertriebsprozesse habe ich da bereits einige persönliche Favoriten, die wir sukzessive in der PHOCUS DC hinsichtlich Effektivität evaluieren - kommt Dir bekannt vor? Richtig, wir machen genau das Gleiche, wie ich einige Zeilen weiter oben beschrieben habe.
Und genauso, wie ich grundsätzlich nicht daran zweifle, dass sich die neuen Technologien im Kundenservice mit fortschreitender Professionalisierung sukzessive durchsetzen werden, so fest glaube ich an die entstehenden Optionen im Vertrieb. Für mich persönlich ist der Nutzen von KI im Sales jedoch schon wesentlich greifbarer. Warum? Weil KI Vertriebsmitarbeitern hilft, zielgerichteter zu agieren.
Menschen weisen einfach grundsätzliche Unterschiede zu Maschinen und Software auf. Technologien sind in vielen Aspekten effizienter, Deep Learning bringt Maschinen/Software das Lernen bei, allerdings weisen Technologien einfach dieses Defizit an „Soft Skills“ auf. Menschen knüpfen Verbindungen am besten mit anderen Menschen.
Mit der zunehmenden Verbesserung und Weiterentwicklung von Chatbots und KI wird es so kommen, dass mehr und mehr Aufgaben und Anfragen automatisiert gelöst werden. Chatbots und KI können durchaus eine Art 1st Level Service übernehmen, Menschen werden dann zum „VIP-Kundenservice“. Mögen Chatbots und KI noch so lernend und humanisiert sein, so wird die zwischenmenschliche Interaktion in den nächsten Jahren immer seinen festen Platz behalten. Wenn Du einen Urlaub buchen willst, wem würdest Du mehr Vertrauen schenken? Einem super intelligenten Bot oder einem Menschen, der ggf. viele Jahre genau an dem Fleck gewohnt hat, den Du zu besuchen planst?
Daher habe ich auch meine Zweifel, dass die Prognose von Gartner „By 2020, customers will manage 85% of their relationship with the enterprise without interacting with a human“ eintreffen wird. Es kann gut sein, dass sich diese Prognose einreiht in eine nicht unerhebliche Anzahl von Fehlprognosen, die Gartner in den letzten Jahren erstellt hat. Einen Überblick über Gartner´s Irrtümer hat Ed Bott in dem Artikel „Why does the IT Industry continue to listen to Gartner“ für ZDNet zusammengestellt, absolut lesenswert.
Happy Service wünscht
Philipp Moder
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Pixabay / CC0
Philipp Moder, Gründer von Phocus Direct Communication, ist ein anerkannter Experte und Speaker im B2B-Vertrieb und Marketing, spezialisiert auf Vertriebsunterstützung/- outsourcing, Leadgenerierung, Inbound Marketing, Net Promoter Score und Customer Experience. Seit 1995 treibt er mit über 60 Mitarbeitern und Freelancern Innovationen voran, um B2B-Unternehmen zu messbarem Erfolg zu verhelfen. Seine Passion ist es, täglich Neues zu entdecken und sein Wissen durch Blogs, LinkedIn und auf Veranstaltungen zu teilen.
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